Rückkehr auf die Thor Heyerdahl – 20.01.24
Pünktlich holt uns das Wassertaxi ab. Mitten in Bocas del Toro, dessen Stadtrand aus Häusern auf Stelzen besteht. Die kleine Bar liegt für uns günstig gelegen nahe der Hafenbehörden und nur eine kurze Fahrstrecke vom Schiff entfernt. Schon vom Steg aus kann ich die Masten sehen. Diesmal deutlich größer als aus dem Flugzeug. Als ich die Bordwand hochklettere, ist das ein komisches Gefühl. Wir werden mit offenen Armen begrüßt und dennoch merkt man – die Besatzung ist eine Gemeinschaft. Seit Monaten gemeinsam unterwegs und es ist gerade ihr Zuhause!
Doch es dauert einfach keine Stunde und schon sind wir integriert, aufgenommen und Teil des Ganzen. Es bleibt auch nicht viel Zeit, denn bereits am frühen Nachmittag kehren die Kusis von ihrem dreiwöchigen Landaufenthalt zurück!
Das Hallo ist groß! Natürlich haben die Schüler bereits mitbekommen, dass wir kommen werden und ich glaube ein bisschen Vorfreude war dabei! Jonas kennen sie bereits aus Teneriffa. und mich – irgendwie total lustig – aus der Film Serie: Klasse Segel Abenteuer.
Normalerweise ist es so, wenn man auf die Thor kommt, viele Fremde, die aber irgendwie auch schnell zu Freunden werden. Aber in drei Wochen ist es fast unmöglich, jeden so richtig gut kennen zu lernen. Ihr werdet staunen – aber diese Reise soll es irgendwie anders werden. Ich sitze gerade an einem Steg hier in Mexiko und schreibe diesen Text für euch und denke darüber nach, dass ich es in unter zwei Wochen geschafft habe, alle Namen der Schülerinnen und Schüler kennen zu lernen und irgendwie auch mit allen einen wunderschönen Kontakt aufbauen konnte. Jetzt, wo sie bereits weg sind, ist es ein wenig traurig. Neben mir stehen Kartoffeln und andere Proviant, der für die gesamte Besatzung bestimmt ist, aber eben nicht für uns beide. Heute ist unser letzter Tag an Bord. Ein schöner Moment, um diese Zeit zu reflektieren. Die letzten Wochen verging wie im Flug. Es ist irgendwie surreal, dass wir das jetzt gemacht haben und dennoch bin ich unglaublich froh.
Gemeinsam mit den Kusis verbringen wir noch zwei Tage in Panama, klarieren aus, machen uns bereit für die Überfahrt und dann heißt es am 21.01.2024 – „Hievt den Anker!“ Joachim, unser Kapitän dieser Reise, gibt es Kommando und manövriert die Thor Heyerdahl im Anschluss durch das enge Fahrwasser in die offene See. Schon bevor wir die letzte Kurve genommen haben, merkt man den Atlantikschwell. Große Welle schlagen uns entgegen. Es geht los! Die Reise beginnt!

Motor-Segeln hoch am Wind
Ich liege auf der Backskiste und schaue in die Masten. Beobachte wie der Großmast abwechselnd den Vollmond und einen Stern berührt. Hin, her, hin, her. Die Wolken ziehen über uns vorbei. Das Rauschen des Meeres übertönt die Geräusche der Hauptmaschine. Diese läuft unabbringlich auf 320 Umdrehungen. Die 2,5 Knoten Fahrt haben sich gewandelt. Teilweise laufen wir 6,5 Knoten. Jonas und ich sind beide mit unseren Bitten, Drehzahl reduzieren zu dürfen gescheitert. Also motoren wir weiter hoch am Wind Richtung Norden.
Noch 200 Seemeilen bis zum Wegpunkt. Dann drehen wir Richtung NNW. Das bedeutet Segelwind. Ich hoffe, dass wir dann endlich segeln können.
Ich hoffe, dass es bis dahin allen etwa besser geht. Selten waren so viele von Crew und Kusis ausgeknockt. Die Corona-Positiven nehmen endlich ab. Glücklicherweise leiden die meisten eher an Seekrankheit. Doch die ungewohnten Bewegungen im Schiff führten zu zahlreichen angeschlagenen Knien, Handgelenken und der berühmten obligatorischen blauen Flecken. Segeln macht Spaß!
Wir rollen, wir schaukeln. Die Schiffsbewegungen ändern sich fast stündlich. Wie ein bockender Stier kämpfen wir uns vorwärts. Ich versuche die Kusis der Nachtwache aufzumuntern. Bald ist es vorbei. Bald werden wir Segeln. Bald ist die Seekrankheit vorrüber. Torge, ein Schüler, liegt auf der Backskiste und grinst mich schief an. „Das sagen sie immer und dann hört der Seegang doch nicht auf“ (Spoiler: Zwei Tage später ist er wieder quietschfidel und turnt fröhlich durch die Gegend und kann sich quasi nicht erinnern, seekrank gewesen zu sein..)
Noch 180 Seemeilen bis zur Kursänderung. Vielleicht werden wir dann segeln.

Die Tage werden wieder heller
Unser bockiges Auf und Ab hat sich in Rollen gewandelt. Heute morgen haben wir endlich den Kurs geändert. NW. Richtung Kuba.
Pünktlich zum Unterrichtsbeginn setzen wir noch weitere Segel und dann verklingen die Tuckernden Geräusche der Hauptmaschine. Machen Platz für Plätschern und Pfeifen. Für das Wehen des Windes. Für Segeln.
Die Hauptmaschine hat mich diesmal wenig gestört. Viel leiser war es gewesen als auf der Jonny. Auf der Jonny liegt unser Kopf quasi auf dem Motor. Man hört sie laut und deutlich. Spürt das Vibrieren und findet kaum Schlaf. Dagegen fühlte sich der Motor der Thor irgendwie eher kätzchenhaft an. So fern. Trennen uns doch mehrere Metallwände davon. Doch das Tuckern ist verklungen. Lebensfreude geht durch das Schiff. Der Tag scheint heller. Nach und nach kommen auch die Seekranken hervor. Nach den ersten Tagen auf See, gewöhnt man sich an die Bewegung. Der Gleichgewichtssinn sieht ein, dass Gleichgewicht keinen Sinn mehr macht. Das Hin und Her wird zur Normalität und die kehrt in den Schiffsbetrieb ein.
Der Unterricht ist endlich voll besetzt. Die Wachen ebenfalls. Samstag machen wir Großreinschiff. Wer sich nicht erinnert – das bedeutet so viel wie Frühjahrsputz. Denn die Tage werden heller und langsam kommt Kuba in Reichweite!

Land in Sicht und Abschiedsgefühle
Noch 70 Seemeilen bis Kuba.
Die Zeit vergeht wie im Flug. Jonas und ich haben uns in die neue Familie eingelebt als wären wir bereits seit Monaten an Bord der Thor Heyerdahl.
Das ist das besondere an diesem Schiff. Man erlebt zwischenmenschliche Atmosphäre auf einer anderen Ebene. Wir leben so dicht beieinander. Und erleben den Tag gemeinsam. Das Gefühl der Zusammengehörigkeit hat hier eine andere Dimension.
Noch 60 Seemeilen bis Kuba.
Das Klassenzimmer unter Segeln findet sein Ende. Zumindest für diese Etappe. Die Segel sind geborgen. Die letzte Unterrichtsstunde hat geschlagen. Der Biotest steht an. Schon am Vorabend merkt man bei dem/ der ein oder anderen die Nervosität. Andere lassen sich nicht vom Alltag abbringen. Segel müssen gepackt werden. Die Vorbereitungen für den Landaufenthalt laufen auf Hochtouren. Doch jetzt geht Bio vor. Ab in die Messe mit euch. Biosysteme. Meer. Thor. Iris hat sich Mühe gegeben, den Test reisenah zu gestalten – Ökosystem Thor Heyerdahl.
Noch 45 Seemeilen bis Kuba.
Der Tag bringt Hitze mit sich. Wir haben uns die letzten Tage bereits immer wieder darauf gefreut uns endlich Abkühlung zu verschaffen. Warum eigentlich nicht einfach hier und jetzt! Ein Freudenschrei geht durchs Schiff. Wir stoppen auf. Rettungsringe raus. Sicherheitsnetze ab. Und dann eröffnet Lukas mit einem Hechtsprung die Badesession. Das Wasser ist klar und fühlt sich unglaublich gut auf der Haut an. Ich bin es von der Jonny gar nicht mehr gewöhnt, mit Frischwasser zu duschen. Das Salz auf unserer Haut gehört dazu. Zu unserem neuen Leben. Wir lachen, wir jauchzen. Viele tauchen unter und genieße die Ruhe unter Wasser. Es ist eine herrliche Abwechslung nach den letzten Tagen.
Noch 20 Seemeilen bis Kuba.
Der Wind frischt auf. Kräftig sogar. Ich denke mir nichts weiter und geselle mich zum Filmabend in die Messe. Irgendwann werde ich aufs Achterdeck gerufen. Wir fahren nur noch 1,5 Knoten – der Kapitän ist bereits zu Bett gegangen und hat Jakob und mir die Planung überlassen. Was machen wir? Langsam weitermotoren und morgens am vereinbarten Treffpunkt zu sein oder lieber früher ankommen und treiben. Wir entschließen uns mehr Drehzahl zu fahren. Na also – 4,5 Knoten gegen die 6 Windstärken.
Noch 5 Seemeilen bis Kuba.
Der Leuchtturm ist in Sicht! Trotz Mondschein, sehen wir kein Land. Es ist zu düster, das Land zu flach. Die Bucht misst über 12 Seemeilen Breite und ist fast 2000 m tief. Wir fühlen uns als wären wir mitten auf dem Meer. Ich schreibe die letzten Anweisungen für die Nacht. 23:30 Uhr Maschine Stopp. Umdrehen und dann vor dem Wind treiben. Hoffentlich nicht zu schnell.
Kuba.🇨🇺
Im Morgengrauen wache ich auf und nutze den Luxus meiner Kammer. Es gibt nur zwei Kojen mit direkten Fenstern. Ich schlafe unterm Sternenhimmel. Aber weich. Doch jetzt ist Morgen. Zeit das auftauchende U-Boot zu spielen. Ich knien mich hin und strecke meinen Kopf hinaus und erschrecke eine Schülerin. Das macht am meisten Spaß an diesem Oberlicht. Menschen erschrecken oder zum Lachen bringen :) Ich bekomme meinen Lagebericht und kann entspannt noch einmal auf mein Kissen zurück sinken. Doch die Neugierde hält mich wach. Kommen Erinnerungen hoch? Vor 15 Jahren habe auch ich hier die Thor Heyerdahl verlassen, um dieses neue Land zu entdecken. Die Küste scheint wieder weiter weg zu sein. Ich entdecke weißen Sandstrand und Palmen, die wir aus der Ferne noch für Masten gehalten haben. Ich entdecke das Hotel, in dem
wir vor 15 Jahren unsere erste Nacht verbracht haben. – Nette Anekdote: Damals durfte die neue Besatzung samt Kinder nicht an Bord (Probleme bei der Ausklarierung) und wir haben deshalb unsere Zimmer geräumt, so dass die Kids dort schlafen durften. Wir teilten uns daraufhin mit 8 Mädels ein Dreibettzimmer. Aber Kuscheln ist ja sowieso eine der Lieblingsbeschäftigungen der Kusis!

Ich werde keine Zeit bekommen, Land zu betreten. Doch Jonas schon ;-) Wieder ein neues Land auf seiner Weltkarte! Für mich bleibt die Erinnerung. Und die Freude unserer Kusis, die einerseits im Abschiedsschmerz gefangen sind und andererseits sich bereits tierisch auf den Landaufenthalt freuen!

Zu zehnt
wir winken dem letzten Boot hinterher. Lucas, Lena, August und einige weitere winken zurück. Das war’s. Jetzt sind sie weg. Wir sind alleine – zu Zehnt.
Das Anker Spill läuft, und langsam heben wir den Anker aus dem Wasser und bereiten die Segel zum Setzen vor. Als Jonas mit dem Rescue Boot zurückkehrt, sind wir los fahrbereit. Schnell noch das Boot auf die Lade Luke und dann geht es los. Wir typhonieren: Tuuuuut Tuuuut Tuuuuut tuut. Ein Abschiedsgruß. Ein Lebt wohl – es war schön mit euch!
Unsere Wege trennen sich – für uns geht’s jetzt zur Isla Mujeres. Für die Kids auf Fahrradtour quer durch Kuba!

Enthusiastisch reißen wir spontan erstmal viel mehr Segeltuch hoch als geplant. Die Maschine stützt nur etwas mit – 7 Knoten! Na mal sehen, ob das so bleibt. Erschöpft muss ich endlich einen Mittagsschlaf machen bevor es für Marlene, Iris und mich in die Kombüse geht. „Pizza satt“ steht auf dem Essensplan.

Über Nacht werden wir langsamer, bis wir am nächsten Mittag bei 3 Knoten angekommen sind. Strom gegenan. Strom von der Seite. Alle paar Minuten müssen wir den Kurs ändern. Mexiko ist in Sicht, doch Mexiko möchte nicht näher kommen!
Erst gegen Spätnachmittag erkennen wir die ersten Palmen an Land und biegen dann in die spannende Ansteuerung ein.
Die Segel sind geborgen und gezeisert. Das Wasser färbt sich von dunkel nach hell nach türkisblau. Wunderschönes strahlendes türkis. Wir sind begeistert. Währenddessen fallen die Zahlen auf dem Tiefenmesser. Die Einfahrt in die Lagune ist super flach. Lediglich weniger Zentimeter liegen wohl zwischen Kiel und Meeresboden. Zum Glück ist alles Sand. Wir drehen langsam in die Einfahrt hinein. Wie eine Spirale nähern wir uns dem Ankerplatz. Dafür halten wir zunächst dicht auf den Strand zu. Nur 20 m vor dem Strand kommt eine scharfe Rechtskurve. Geschafft. Wir können den Strand und die sonnenden Menschen darauf fast berühren. Dann entfernen wir uns wieder. Vorbei an kleinen Stegen. Rechts von uns ist flach. Links ist Land. Wir bleiben akkurat in der Mitte und nähern uns den ankernden Yachten. Mit der Jonny wäre das ein Kinderspiel. Mit einem 50 m langen Schiff ist erstaunlich wenig Platz. Joachim dreht auf der Stelle. Dann hören wir den Feueralarm. Gleichzeitig steigt Rauch aus der Maschine auf. Schnell sprinten Jonas hinunter. Wir lassen den steuerbord Anker fallen. Zur Sicherheit. Doch Will gibt grünes Licht. Die hohen Drehzahlen voraus und achteraus haben der Maschine viel abverlangt – so viel, dass sie beschlossen hat, Rauch zu entwickeln. Doch alles in Ordnung. Wenig später tuckern wir erneut los und fahren zu unserer gewünschten Ankerposition. Dann fallen die 4 Kettenlängen. Aus Berichten wissen wir – der Ankergrund hält schlecht. Wir kommen recht nahe an einem Katermaran zum liegen. Und wenig später haben bereits Papa und seine drei Kinder das „Pirateship“
erklommen. Der holländische Papa trinkt entspannt unser Ankommens-Sundowner-Bier mit uns während die Kids sich Lukas an die Fersen genagelt haben und ihren neuen Abenteuerspielplatz entdecken gehen.

Für uns steht die nächsten Tage noch eine Werftzeit an. Die Thor braucht einige dringende Überholungen bevor sie wieder in den Atlantik starten kann. Für uns geht es am 08.02. zurück Richtung Martinique, wo die Jonny sicher bereits sehnsüchtig wartet!

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