Eine verhexte Losfahrt
Der Plan steht. Es soll losgehen in Richtung der Tuamotus. Die nächste Inselgruppe Französisch Polynesiens. Das Land erstreckt sich über eine Fläche, die einem Kontinent ähnelt. Doch der Großteil besteht aus Wasser. Ozean. Rund 450 Seemeilen (ca. Deutschland Nord Süd) trennen uns von unserem nächsten Ziel – Rairoa.
Der Tag beginnt früh: Um 06:15 Uhr steige ich in das Dinghi der Ocean Fellows. Die Insulaner sind allesamt Frühaufsteher und gehen dafür lieber der Mittagshitze aus dem Weg. Es ist Marktzeit – Obst und Gemüse türmen sich auf den einzelnen Verkaufstischen. Ich lasse ca 60€ zurück und zeige Jonas eine Stunde später meine Ausbeute: Tomaten, Süßkartoffeln, 3 grüne Papayas, Bananen, Avocados und Zitronen. Man verliert hier schnell das Gefühl für Geld. Man akzeptiert irgendwann, dass einfach alles teuer ist. Ich hoffe, in den nächsten Wochen nur wenig einkaufen zu müssen, wir sind wieder voll aufgestockt. Bereit für eine noch abgelegenere Gegene.
Luca und Jerome bleiben zurück an Land – sie haben einen Tauchausflug gebucht. Lukas bringt mich nach Hause. Ein wenig neidisch, beginnen Jonas und ich unsere To Do Liste abzuarbeiten. Segel wechseln, einkaufen, tanken, aufräumen, vorkochen, Wäsche trocknen. Nach Tagen des Regens ist das Wetter heute etwas gnädiger und sogar die Sonne zeigt sich hier und da und lässt die Vorbereitungen leichter von der Hand gehen. Wir stoßen an: Cola und Fanta – auf die Marquesas! Ein kühles Getränk vor der Abfahrt. Alles ist erledigt. Wir können los!
Jonas startet den Motor und ich drücke auf das kleine Ankersymbol unserer Fern-Bedienung der Ankerwinsch. Langsam ratternd wandert die Kette Glied um Glied in den Ankerkasten. 30 m Markeriung ist bereits im Kasten, es folgt die 20 m Markierung. Doch dann stockt es. Ich werfe einen Blick über die Seite. Ein Widerstand. Die Markierungen zeigen mir: 15 m Kette im Wasser bei 10 m Wassertiefe. Jonas schaut mich von hinter der Sprayhood aus an. Ich zucke mit den Schultern und versuche es erneut. Mit heftigen Knacken und Bocken der Winde schaffe ich es, einige Kettenglieder hochzuziehen. Verdammt! Da muss was großes dran hängen. Fluchend versuchen wir die Winsch per Hand zu bedienen. Erfolglos. Ratlos schauen wir uns an. Jonas holt Taucherbrille und Flossen. Ein Blick in die Tiefe genügt. Eine andere Ankerkette hat sich um unsere gewickelt. Nicht nur einmal, sondern viele Male. Dicht liegt die Kette an unserer an und es scheint hoffnungslos. Ich rufe Lukas an – kannst du rüberkommen? Während wir Tauchequipment rausholen, nähert er sich schnell im Dinghi. Erneut versuchen wir die Kette einzuholen. Wir schaffen es bis auf 9 m. Der Anker müsste aus dem Grund sein. Ächzend und stöhnend macht sich unser Ankergeschirr bemerkbar. Das schöne Wetter des Tages ist mittlerweile grauen Wolken gewichen. Wind kommt auf. Jonas ist mit Tauchequipment im Wasser. Lukas und ich sprechen die Situation ab. Überlegen das Vorgehen, als ich einen Blick Richtung Land werfe. Mein Blick versteinert. Die Jalero Primero liegt quer zum Wind, aber nicht mehr an der Stelle, an der sie vor 10 Minuten noch gelegen hat. Die Böen schieben sie Richtung Land. Zügig Richtung Land. Ich brülle Lukas an, dass sein Boot treibt. Im ersten Moment versteht er nicht. Denkt ich rede über die Jonny. Jonas und ich werfen einander einen Blick zu. „Geh!“ Ich springe ins Dinghi und jetzt versteht Lukas, dass es um sein Boot geht. Der Außenborder startet sofort. Wir preschen übers Wasser. Ich halte mich an der treibenden Yacht fest, während Lukas bereits über mich hinwegspringt. Er startet den Motor und gibt Gas. Das Land ist weniger als 100 m weg. Der Wind hat auf 20 Knoten zugenommen. Vermutlich war auch die Jalero Primero in der Ankerkette am Grund verhakt. Und kam durch unser Manöver davon frei. Denn auch die Jonny hat schnell zum treiben begonnen. Jonas schafft es gerade noch rechtzeitig an Bord. Der Motor läuft bereits. Er gibt Gas und weniger als 1 m bevor unser Boot in eine andere Yacht krachen würde, gibt er Gas und kommt frei. (Das bemerken Lukas und ich nicht. Zu beschäftigt sind wir. Erleichtert höre ich, dass alles gut gegangen ist…)
Doch die Gefahr auf der Jalero Primero ist
nicht vorrüber. Gefährlich nahe sind wir einer weiteren Yacht. Wir heben den Anker und ich halte die im Vergleich zur Jonny deutlich größere Yacht im Wind. Kurz entschlossen, suchen wir einen neuen Ankerplatz. 200
m weiter fällt der Anker. Zwei Anläufe brauchen wir, bis der Anker hält. Wir stoppen den Motor und sind erleichtert.
Jonas hat in Zwischenzeit es geschafft, die andere Ankerkette über den Grund zu ziehen und unseren Anker an neuer Position wieder fallen zu lassen. Lukas und ich sitzen also erneut im Boot. Er fährt mich zu Jonas und anschließend an Land, die zwei Jungs abholen. Auf dem Rückweg wird Jerome bei uns abgesetzt und wir beginnen erneut, den Anker zu bergen. Tauchequipment an. Leinen vorbereiten. Eine Leine an Jonas. Eine Leine für Handzeichen. Einmal Ziehen: Ankerkette runter. Zweimal Ziehen: Ankerkette hoch. Mehrmals muss Jonas hinab tauchen bis der finale Plan steht. Wir befestigen eine weitere Leine am Anker selbst. Entlasten Kette und Ankerwirbel. Jonas taucht erneut hinab. Unsere einzige Chance: Der Anker muss ab. Ein Nachbar steht mit Dinghi bereit, um Jonas zügig aufzunehmen, sobald wir frei sind. Denn dann werden wir treiben und ich muss den Motor verwenden können. Doch der Wind hat nachgelassen. Die Jonny bleibt brav an Ort und Stelle, während Jerome und ich zügig Kette und Anker empor ziehen als das befreiende Dauerrucken am Kommunikationsseil kommt. Geschafft! Anker aus dem Wasser. Schnell holen wir alle Leinen ein. Doch die Jonny bleibt ruhig liegen. Der Wind ist in seine Flaute zurückgefallen. Jonas steigt ins Dinghi und dann an Bord. Erleichtert lege ich den Gang ein und manövriere uns zwischen den Booten heraus. Neben der Jalero Primero kommen wir zum Stehen. Jerome wird abgeholt und wir rufen noch einige Abschiedsworte hinüber. Wir sind froh, solche Freunde zu haben. Wir werden trotzdem lossegeln. In Richtung Raroia. Wir setzen die Segel und segeln dem Sonnenuntergang entgegen… so haben wir uns diese Abfahrt nicht vorgestellt.

Tag 1 auf See
Wir sind viel zu schnell oder zu langsam. Trotz kleinerem Vorsegel, kommen wir extrem schnell voran. Doch die verlorene Zeit von gestern bringt unseren gesamten Zeitplan durcheinander. Dazu muss man verstehen, wie die Tuamotus aussehen. Die Inselgruppe besteht hauptsächlich aus Atollen. Das bedeutet Inseln, die jeweils Kreisförmig aus dem Meer herausragen. Manche vollkommen abgeschlossen. Manche mit Durchgängen. Den sogenannten „Pässen“. Teilweise sind diese Pässe passierbar für Yachten. Fährt man hindurch findet man eine von Wellen geschützte Fläche vor. Problem daran. Die Eingänge sind oft schmal und in den Tuamotus gibt es Gezeiten. Fährt man also zur falschen Zeit in den Pass, könnte man auf Strömung von bis zu 8 Knoten treffen. Für uns also nicht passierbar. Problem daran ist, die Gezeiteninformationen sind nur sehr schlecht datiert. Man muss schätzen, ankommen und zunächst den Pass beobachten. Problem Nummer 2 – Korallenköpfe. Die Atolle sind häufig von Korallen gespickt. Eine Durchfahrt bei Nacht ist also schwierig zu bewerkstelligen. Somit müssen wir jetzt überlegen. Wie schaffen wir es bei Tage anzukommen. Und zudem zur richtigen Uhrzeit. Doch jetzt brauchen wir erstmal Schlaf. Die Nacht war kurz und wir sind es nicht mehr gewöhnt, nachts wach zu sein. Bis wir uns gewöhnt haben, werden wir jedoch bereits angekommen sein. Noch 360 Seemeilen.

Tag 2 auf See
Wir reffen immer weiter ein. Doch der Wind ist stark. Wahrscheinlich könnten wir gerade über 7 Knoten fahren. Doch die Gefahr, nicht rechtzeitig vor dem Schwinden des Sonnenlichts vor dem Pass anzukommen, ist zu groß. Wir kneifen was geht. Über Nacht sind wir mit gerefftem Groß und gereffter Fock gesegelt. Eine Böe nach der anderen donnert uns um die Ohren. Der Wind liegt meistens jenseits der 20 Knoten. Soeben haben wir die Fock weggenommen und das Groß weiter aufgemacht. Jetzt segeln wir nur noch mit 5,0 Knoten. Um einen Tag später im Morgengrauen anzukommen, brauchen wir nun einen Schnitt von 4,7 Knoten. Wir ziehen mit 4 Händen an der Handbremse.
Das Leben zu zweit spielt sich langsam ein. Wir holen beide Schlaf der letzten Tage nach. Tagsüber verbringen wir die Zeit hauptsächlich damit uns über die Tuamotus Gedanken zu machen. Am Schiff etwas zu tun? Keine Chance. Die See ist zu rau. Schon Kochen ist anstrengend. Auch die Angel bleibt bisher an Deck. Vielleicht wagen wir es nacher mal. Oder verschieben das auf Morgen. Ich freue mich aufs Ankommen. Ausspannen. Den Schutz des Atolls. Der Wind soll die nächsten Tage schwächer werden. Wir drücken uns die Daumen. In Rairoa warten bereits Freunde – die Segelyacht Lella und Nalani, Jamesby und Te Ava. Hinter und Segeln die Ocean Fellows und die Aspro. Wir sind also nicht alleine und in bester Gesellschaft.
Tag 3 auf See
Einen Wachrythmus haben wir immer noch nicht gefunden. Irgendwie schlafen wir einfach abwechselnd wie es uns gerade in den Kram passt. Jonas hat gestern einen zu ausführlichen Frühabendschlaf gemacht, so dass er abends dann nicht mehr schlafen konnte und kurzerhand bereits um 9 die Wache übernahm statt um 12. Jetzt ist es halb 5. Wir dümpeln mehr als dass wir segeln. Es regnet in Strömen. Der Wind wurde von den Wolken fast vollkommen verschluckt. Doch wir sind nicht im Stress. Es sind noch gut 100 Meilen nach Rairoa und wir wollen erst morgen früh ankommen. Hoffentlich ist das Wetter bis dahin auch besser… Der Blick aufs Meer ist trüb. Es dämmert und doch ist es grau in grau. Wer dachte, die Südsee besteht zumeist aus Sonnemschein, der sollte sich hierdurch belehren lassen. Wären nicht die hohen Wellen, könnten wir uns gerade genauso in der Ostsee befinden.
Letzte Nacht haben wir den ersten Frachter seit Panama City gesehen. Die YIN Los Angeles auf dem Weg nach Hongkong. Noch aus der Ferne hören wir das Brummen der Motoren. Der Ozeanriese von über 360 m Länge zieht mit zwei Meilen Abstand an uns vorbei. Wir sehen die Lichterkette an uns vorbeiziehen und ich bin in Gedanken an meine ehemalige Arbeit erinnert.

Es ist 06:00 Uhr. Der Blick zum Horizont lässt ein neue Walze erahnen. Das grau hat sich zu einem schwarz verfärbt. Darunter erkennt man bereits den Regen. Nur kurze Zeit später, nimmt der Wind schlagartig zu. 10 Knoten, 15 Knoten, 20 Knoten, der Regen fegt durchs Cockpit. Ich öffne die Schot des Großsegels. 25 Knoten, 30 Knoten. Jonas wacht auf. Wir ändern den Kurs. Gehen vor den Wind. Der Regen prasselt mir ins Gesicht. Zwei Minuten später ist alles vorbei. Der Wind nimmt merklich ab. Ich trete in den Regen hinaus und ändere den Kurs erneut. Das Vorsegel reffe ich wieder ein. Wir sind wieder zu schnell. Wir brauchen aktuell einen Schnitt von 4,5 Knoten.
Ob, wir pünktlich ankommen und die Einfahrt ins Atoll schaffen, erfahrt ihr im nächsten Blogeintrag!