Überrascht am Ankerplatz
„Peehng“ – Ein sehr, sehr lauter Schlag hallt durch die Jonny. Jonas und ich fahren erschrocken aus dem Mittagsschlaf hoch. Wir schauen uns an und wissen sofort, was los ist.
Schon in der Stunde zuvor merkten wir, dass die Wellen deutlich höher geworden sind. Wir liegen im Süden des Atolls Fakarava. Viele hundert Meilen südlich von uns zieht ein Tiefdruckgebiet durch und saugt Luftmassen aus dem Norden an. Der Wind bläst durch das Atoll, deutlich stärker als vorhergesagt. Statt 10 Knoten, blasen mittlerweile 20 Knoten. Und wir sitzen in der Falle. Das Atoll ist 30 Meilen lang, 30 Meilen ohne Windschutz. 30 Meilen ohne Wellenschutz.
Wir rennen aufs Vordeck. Im Normalfall wird die Kraft der Ankerkette mit einem eingehakten Seil auf die Bugklampen umgelenkt. Dieses Seil baumelt gerade lose am Bug hinab. Von unserem Haken keine Spur mehr. Wieder taucht der Bug in die Welle ein. Die Kette kommt stramm. Es tut einen lauten Schlag. Die Kette und die Ankerwinde müssen nun die gesamte Kraft aufnehmen. Die Kette springt über die Winde. Ich renne zurück ins Cockpit, starte den Motor und gebe Gas. Wir müssen die Spannung aus dem System nehmen. Jonas sucht eine neue Leine. Er bekommt sie eingefädelt und befestigt. Die Wellen nehmen weiter zu. Man kann es direkt sehen. Ich mache mir Sorgen.
„Peehng“ – Wieder hallt es über Deck. Die zweite Leine ist ebenfalls gerissen. Der Motor läuft noch. Erneut gebe ich Gas. Was sollen wir tun? Wir müssen hier weg! Wir entscheiden uns dafür den Anker zu heben – Glied für Glied zieht Jonas den Anker hoch. Dann kommt die Kette fest. Wieder gibt es einen Schlag. Unser Bugbeschlag wird verbogen. Der Ankergrund ist überseht von Felsen. Um so einen Felsen liegt die Kette. Jonas fiert die Kette wieder. Verzweifelt versuche ich über Funk eine der anderen Yachten zu erreichen. Keine Antwort. Die meisten haben ihr Funkgerät am Anker aus.
Nervös stehe ich im Cockpit. Die Küste hinter uns ist nur wenige 100 Meter entfernt. Aber unser Ankergeschirr wird diese Welle nicht verkraften. Wir müssen das schlimmste tun. Wir müssen die Ankerkette abschlagen. Jonas bindet Fender an das Ende der Kette, dann lassen wir sie über Bord fallen. Jetzt nur nicht die Leinen in den Propeller bekommen. Ich gebe Gas. Geschafft. Wir sind frei. Aber was jetzt? Robi ruft mich an – ob wir Hilfe brauchen? Dankbar bejahe ich. Wir machen einen Plan.
Unser Dinghi ruckt an der Leine. Jonas holt Robi von der Pepper und Iean von der Indioko ab und gemeinsam machen sie sich auf den Weg zurück zum Anker. Die „Salty Brothers“ sind zwischenzeitlich ebenfalls Anker auf gegangen. Wir fahren mit beiden Yachten auf und ab, während ich hoffe, dass Jonas und die anderen es irgendwie schaffen den Anker hoch zu bekommen. Mehrmals tauchen Robi und Iean hinab – 13 m Wassertiefe. Sie legen die Kette nach und nach frei. Ich bin so dankbar, dass wir Hilfe bekommen haben. Zu zweit ist man in so einer Situation echt aufgeschmissen.
Die Jonny bockt in den Wellen. Eine Welle trifft mich mit voller Breitseite im Cockpit. Das ist mir das letzte Mal in der Karibik passiert. Die Jungs melden sich über Funk – ich manövriere die Jonny zurück an die Stelle, an der wir den Anker fallen lassen mussten. Mit einem Seil wollen wir die Kette zurück an Bord holen. Die beiden Jungs sind noch im Wasser. Jonas klettert zurück zu mir an Bord und versucht die Kette vorne wieder einzuhaken. Iean schwimmt etwas von uns weg – wir halten Blickkontakt. Wie ein Einweiser am Flughafen gibt er mir immer wieder Handzeichen. Mehr nach backbord. Mehr nach steuerbord. Stopp. Gerade aus. Jonas schafft es das Ende der Kette zu bergen. Nach und nach holt er die Kette wieder an Bord. Die Jonny tänzelt wie ein wildes Pferd. Der Bug geht ein, manchmal zwei Meter in die Höhe und klatscht wieder aufs Wasser. Dann wieder ein Schlag. Wieder hängen wir am Felsen. Robi taucht erneut hinab. Frei. Das letzte Stück Kette und der Anker kommen an Deck. Ich bin erleichtert! Wir umarmen uns und bedanken uns bei den beiden Jungs. Iean schwimmt zurück zur Indioko. Robi setzen wir auf der Pepper ab.
Mittlerweile ist es 16:30 Uhr. Was nun? Die Pepper nimmt Kurs Ost. Wir sprechen über whatsapp mit Booten dort drüben. Ruhiger. Das ist was wir raushören. Also folgen wir der Pepper. Im letzten Sonnenlicht werfen wir den Anker. Sandiger Boden, kaum Felsen. Ich bin erleichtert. Ein Schluck Rum für Neptun und dann fallen wir erschöpft auf die Backskiste. Damit haben wir nicht gerechnet. Noch am Morgen habe ich einen Text darüber geschrieben, wie wichtig es ist, auf das Wetter zu achten. Aber auch ein Wetterbericht kann mal falsch liegen. Das ist nochmal gut gegangen. Der Ankerbeschlag ist nun 20 Grad nach unten geneigt. Die Kettenkralle in den Felsen verloren. Aber uns geht es gut. Das ist die Hauptsache.

Die Welle am neuem Ankerplatz ist etwas ruhiger..

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